Die Exponate sind ausgewählt
Es ist ein einzigartiges Kunst- und Naturerlebnis, das alle Sinne anspricht: Zur internationalen Ausstellung „bewegter wind“ kommen Künstler*innen aus der ganzen Welt nach Nordhessen, um ihre Windkunstwerke an besonderen Orten in der Natur zu zeigen. Nun ist der Startschuss für die 11. Ausgabe des beliebten Kunstfestivals gefallen: Es findet vom 13. bis 27. August 2023 in zwei außergewöhnlichen Landschaftssituationen bei Wolfhagen nahe Kassel statt.
51 Windkunstwerke aus 15 Ländern
„Schon seit Monaten ist unser Verein bewegter wind e. V. mit der Planung beschäftigt und steht in Kontakt mit Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Vorschläge für Windkunstobjekte, Installationen, Performances und Aktionen sowie Videos und Audiowerke eingereicht haben“, berichtet Kuratorin Reta Reinl. „Nun hat die Jurysitzung stattgefunden. Das Ergebnis: Unter 110 Einsendungen sind 51 Windkunstwerke ausgewählt worden. Insgesamt nehmen 50 Künstlerinnen und Künstler aus 15 Ländern teil, darunter Indien, Brasilien, Japan und Neuseeland.“ Nachdem am bewegten wind 2021 wegen Corona nur wenige internationale Künstler*innen beteiligt waren, ist die diesjährige Windkunstausstellung wieder gewohnt global aufgestellt.
Die Auswahljury setzt sich zusammen aus drei erfahrenen Kunstschaffenden: der renommierten Designerin und Künstlerin Ines Braun (https://ines-braun.jimdofree.com) und dem freischaffenden Künstler und Grafiker Joachim Römer (http://www.unterblicken.de). Beide sind in Köln tätig. Komplettiert wird das Jurorenteam durch Reta Reinl: Die Künstlerin aus Lichtenfels hat den bewegten wind 2004 ins Leben gerufen und ist seitdem Kuratorin der Windkunstausstellung.
Ein Motto, das Hoffnungen weckt
Wer den bewegten wind kennt, weiß, dass zu jeder Ausstellung ein leitendes Motto gehört. In diesem Jahr lautet es „beyond … darüber hinaus“. Dazu erläutert Reta Reinl: „Das englische Wort ‚beyond‘ beschreibt das Hinausgehen über Grenzen und Beschränkungen. Genauso wie der Wind über Landschaftsgrenzen hinweg weht, überwinden auch die Kunstwerke räumliche Grenzen und verändern sich stetig durch die Bewegung des Windes. Für die Betrachtenden ergeben sich dadurch ungewohnte, vielfältige Perspektiven. ‚Beyond‘ weist also über das Konkrete hinaus und lässt sich inhaltlich und landschaftlich zugleich interpretieren.“
Bei vielen Künstlern traf diese Leitidee einen Nerv: „Es ist ein verheißungsvolles Thema, das grenzenlos erscheint“, so die spontane Reaktion der Künstlerin Constanze Schüttoff. Und die österreichische Künstlerin Lea Anders meint: „Der Titel der Ausstellung ist ein echter Hoffnungsträger. Ein verheißungsvoller Türöffner, der schon einen Weg aufzeigt, ohne noch genau zu wissen wohin ... das tut gut!“
Vom Rüsselwesen bis zum Windnomaden
Was erwartet Kunst- und Naturbegeisterte in diesem August? Reta Reinl gibt bereits einen kleinen Vorgeschmack auf die voraussichtlichen Werke: „Die Bandbreite ist wirklich beeindruckend“, sagt sie. „Wir haben zum Beispiel vom polnischen Künstlertrio Piotr Wesolowski, Alexander Bryk und Karolina Konieczny einen Windharvester aus Bambusfasern, der sich wie ein Elefant mit drei Rüsseln sanft in der Landschaft bewegt. Beim Performance-Day am 20. August wird die japanische Künstlerin Tomo Sone in einem Kostüm tanzen, das einer pinken Wolke gleicht – ein Erlebnis, das durch Augmented Reality nochmals gesteigert wird und den Titel „Cassandras field of Flowers“ trägt.
Der Künstler Anuar Portugal aus Mexiko lässt einen halben Stuhlkreis aus der Erde aufsteigen. Auch die deutsche Künstlerin Heidi Etzbach arbeitet – wenn auch auf völlig andere Weise – mit Sitzgelegenheiten: Zwei lange Reihen von Stühlen winden sich durch die Landschaft und verschwinden am Horizont. Sie stehen sich in unterschiedlichen Positionen gegenüber. So können die Besucher*innen darauf Platz nehmen und über ihre jeweiligen „Sichtweisen“ ins Gespräch kommen. Auch die wunderschönen Windobjekte des indischen Künstlers Vagaram Choudhary, die in alten Hutebuchen platziert werden, verändern den Blickwinkel.
Krieg oder Frieden?
Auch der Krieg in der Ukraine wird thematisiert: Die Künstlerin Masa Paunovic formt eine 1,5 Meter große Hand aus Erde, die eine 5 Meter große Friedensfahne hält. Während der Ausstellung zerfällt die Hand, aber bleibt der Frieden? Auch Ria Gerth aus Deutschland deutet das Leitthema „beyond“ politisch und stellt Krieg und Frieden auf drastische Weise gegenüber: Sie hat eine friedliche Landidylle gefilmt, die durch plötzliche Kriegseinbrüche ein jähes Ende findet.
Wohin lockt uns der Wind? Dieser Frage können die Besucher*innen zusammen mit dem Windnomaden Harald Ganswindt nachgehen: Er bestimmt die Windrichtung mit einem Seifenblasenschwert und folgt dem Wind buchstäblich über Stock und Stein.
Ralf Witthaus wird wieder mit seinen eindrucksvollen Rasenmäherzeichnungen in der Landschaft für temporäre Spuren sorgen – gemeinsam mit Helfenden setzt er „per petuum“ um.
Ein weiteres Objekt, das schon aus der Ferne betrachtet die Neugier weckt, heißt „Terror Eyes“ und stammt von Leonie Mühlen. Sie platziert riesige Ballons, auf die Augen gemalt sind, in der Landschaft und zeichnet damit die Höhenlinien nach. Man sieht von weitem, wie die Landschaft verläuft. Ursprünglich stammt die Idee aus der Landwirtschaft und dient – ähnlich wie Vogelscheuchen – der Abschreckung von Tieren.
Last but not least übersetzt die Anne Heilmann historische Wetterkarten in Knüpfmuster aus Segeltauen, die mit Zitaten historischer Seeleute lebendig werden. „Dies sind nur einige von vielen atemberaubenden Windkunstwerken, die Besucherinnen und Besucher in diesem Sommer in der Natur entdecken können“, sagt Reta Reinl.
Magerrasen und Hutebuchen
Wo die Windkunstwerke zu sehen sein werden, steht ebenfalls schon fest: Es handelt sich um einen Höhenzug bei Wolfhagen-Nothfelden. Der zweite Ausstellungsort ist eine Hügelformation bei Wolfhagen-Philippinenburg. „Es sind sehr unterschiedliche Landschaftssituationen, die aber so nah beieinander liegen, dass man sie erwandern kann“, erläutert Reta Reinl. „Der trockene Kalkmagerrasen, uralte Hutebuchen und der Doppelhügel mit vielen eindrucksvollen Höhenlinien sorgen für einzigartige Kombinationsmöglichkeiten von Kunst und Natur.“
Genau diese Nähe nimmt die Künstlerin Constanze Schüttoff zum Anlass für ihre Kunstaktion „Darf ich …?“, bei der sie sich als fragend-inspirierende Begleiterin mit den Besucher*innen auf den verbindenden Weg zwischen den beiden Ausstellungsbereichen macht.
Kostenlos – dank engagierter Akteure
Kunst braucht Förderung. Deshalb ist auch der bewegte wind 2023 nur dank einer starken Unterstützung möglich. Zu den diesjährigen Förderern zählen der Landkreis Kassel, die Stadt Wolfhagen, Kasseler Sparkasse, das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, die Stadtwerke Wolfhagen, BürgerEnergieGenossenschaft Wolfhagen eG sowie die Culturwerkstatt Frankenberg, AgiL und das Autohaus Ostmann. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass auf Eintrittsgelder verzichtet werden kann und dass zum Abschluss der Ausstellung attraktive Preisgelder für herausragende Kunstwerke vergeben werden können. Denn schließlich ermöglicht der bewegte wind ein kostenfreies Kunsterlebnis für alle und stärkt zugleich den Standort Wolfhagen.
Und auch darüber hinaus kommt tatkräftige Unterstützung, zum Beispiel von lokalen Helfern, Landwirten und Landeigentümern sowie der Bevölkerung, die etwa Unterkünfte für die Künstler*innen bereitstellt.
„Wolfhagen ist vorbildlich im Bereich der erneuerbaren Energien, zu denen auch die Windkraft gehört. Hier gibt es einige interessante Schnittmengen zur Windkunst: Wir betrachten den Wind nicht unter einem energetischen, sondern unter einem kulturellen Aspekt“, meint Reta Reinl und sie ergänzt: „Schon 2012 haben wir in Wolfhagen, Kassel und Volkmarsen Windkunst ausgestellt.“ Der bewegte wind kehrt also erfolgreich nach Wolfhagen zurück.